Freitag, 28. Dezember 2018

Psychothriller Neuerscheinung "Das Narbenmädchen"


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2008: Wie alles begann.

Tanja

Es war ein warmer, windiger Sommertag, als Tanjas bisheriges Leben endete und sie zu einer anderen wurde.
Sie war auf dem Heimweg von der Schule, verabschiedete sich von ihrer besten Freundin und war froh, dass Freitag war. Endlich Wochenende und das ohne Lernen, ohne bevorstehende Prüfungen, denn die Sommerferien standen kurz bevor. Sie freute sich auf elf Wochen schulfrei und sehnte sich nach Meer, Jungs und einer Sommerliebe. Eine Woche würde sie mit ihrer besten Freundin und ihrer ein Jahr jüngeren Schwester in einem Ferienlager in Bulgarien am Strand verbringen. Das erste Jahr ohne Eltern, es würde genial werden, da war sie sich sicher. Ihre Schwester Mimi war nicht nur ihre Schwester, sie war ihre Freundin, ein Teil von ihr, ohne den sie nicht sein wollte. Viele Jugendliche in ihrem Alter wollten nichts mit ihren kleinen Geschwistern zu tun haben, aber Mimi war nur elf Monate jünger als sie und genauso cool wie ihre beste Freundin. Zusammen waren sie ein tolles Team, auf immer und ewig.
Tanja war in Gedanken, als sie am Waldrand entlangging, nur wenige hundert Meter von ihrem Zuhause entfernt. Die Vögel zwitscherten, die Bäume wehten im Wind, es war pures Landleben, das Tanja manchmal ziemlich auf die Nerven ging. Irgendwann würde sie mit Mimi und Aurora, ihrer besten Freundin, eine WG gründen, da war sie sich sicher. Wie sie sich doch irrte, damals als sie noch jung und unschuldig und voller Träume war. Ein einziger Moment konnte alles ändern, alles zerstören, die Hölle heraufbeschwören. Sie bemerkte den Lieferwagen erst, als er direkt neben ihr anhielt. Sie sah irritiert zum Fahrer, der eine Sonnenbrille, eine schwarze Kappe und einen Schnurrbart trug. Er lächelte sie an, als er die Scheibe herunterließ.
»Entschuldige bitte. Kommst du von hier?«, fragte der Kerl und setzte sein freundlichstes Lächeln auf.
»Ja«, sagte sie kurz und knapp und ging einen Schritt zurück. Sie wusste, man musste vorsichtig sein mit Männern. Sie lernten es in der Schule und sie bekamen es von den Eltern eingebläut. Die Mädchen, alle von ihnen wusste es, denn Männer waren oft gefährlich. Nicht nur sie, auch Frauen, jeder hatte innere Dämonen, die einen zerfressen konnten. Doch dieser Kerl schien in Ordnung zu sein.
»Kannst du mir auf der Karte zeigen, wo diese Straße ist?«, er deutete auf einen Zettel und Tanja ging näher heran. Der Kerl öffnete von der Fahrerseite aus die Tür der Beifahrerseite und Tanja steckte ihren Kopf hinein und sah auf den Zettel. Sie konnte den Straßennamen nicht lesen, also streckte sie die Hand aus, nahm den Zettel und spürte sogleich den festen Druck, den die großen Hände des Mannes auf ihrer Hand verursachten. Denn er packte sie am Handgelenk, sein Lächeln war weg und Tanja gefror das Blut in den Adern. Alles zog sich in ihr zusammen und sie wusste, sie hatte einen Fehler begangen. Mit großer Wucht wurde sie in den Wagen gezogen, sie schlug sich das Knie unsanft an und schrie auf. Doch ihr Schrei wurde sofort erstickt, indem ihr der Mann den Mund mit einem Tuch zuhielt, dann sackte sie neben ihm zusammen.
Es wurde alles dunkel, aber sie wusste, was passiert war. Sie wurde entführt, ein Arschloch hatte sie in seinen Wagen gezerrt und sie wurde nun bewusstlos. Das alles geschah so schnell, sie hatte keine Chance, zu entkommen.

Freitag, 26. Oktober 2018

Samstag, 20. Oktober 2018

Leseprobe zur Neuerscheinung "Mordsverlust"!

Neuanfänge – Drei Jahre später

Anna (vier Monate vor ihrem Tod)

Sie hatte ihn im Internet kennengelernt. Er war auf einer dieser Selbstmordplattformen, genau wie sie selbst. Sie chattete schon länger mit ihm, wochenlang, er war ihr Halt. Der Einzige, den sie noch hatte. Er war der Onlinepsychiater. Keine zerstörte Seele wie sie. Zuerst ging es ihr besser, dann so schlecht wie nie. Aber ohne seine Worte konnte sie nicht mehr leben. Sie haderte schon seit Jahren mit ihrem Schicksal, und er hatte erkannt: Sie war sterbenskrank. Nicht so krank wie ein Krebskranker, sondern ihre Seele war krank. Sie wusste es nun, dank ihm. Tage waren seit dem letzten Chat vergangen. Sie hatte nichts mehr von ihm gehört. Vermutlich hatte er kein Interesse mehr an ihr. Sie zog es ja doch nicht durch. Er konnte ihr nicht helfen, wie er schon öfter betont hatte. Jetzt war sie also ganz allein, denn seit sie ihn kannte, hatte sie keinerlei Kontakte mehr zu Freunden oder Bekannten gepflegt. Auch nicht mehr zu ihrem Vater, der es vermutlich nicht mal bemerkte, dass sie sich nicht meldete. Über ein Jahr war seit dem ersten Zusammenbruch vergangen. Es war ein heißer Sommertag, sie fühlte sich schon länger schwach. An diesem Tag hatte sie eine Vorlesung in der Uni besucht, bis sie schweißgebadet das Gebäude verlassen hatte. Atemnot, Herzrasen. Ihr war schwarz vor Augen geworden, dann war sie umgekippt. Ein Krankenwagen war gerufen worden. Sie hatten sie unbedingt mitnehmen wollen, aber sie hatte sich geweigert. Nach einer Stunde am Tropf im Krankenwagen war sie nach Hause gegangen. Sie hatte den netten Helfern versprochen, sie würde zum Arzt gehen. Anfangs hatte sie gedacht, es wäre nur ein Kreislaufproblem wegen der Hitze gewesen. Aber so war es nicht. Der Schwindel war über Monate geblieben, sie hatte sich schlecht gefühlt, war nicht mehr zur Uni gegangen und hatte die meisten Tage verschlafen. Ihre ohnehin wenigen sozialen Kontakte hatte sie abgebrochen. Sie hatte keine Mutter mehr und nie wirklich einen Vater gehabt. Familie war ein Fremdwort gewesen. Das Internet war ihr neuer Freund geworden. Und dann war ihre Welt zusammengebrochen. Sie hatte sich wirklich mal aufgerafft und war zum Arzt gegangen. Wollte endlich wissen, was mit ihr los war. Die erschütternde Nachricht war einige Tage nach dem Termin in der Klinik gekommen, in die sie vom Hausarzt überwiesen worden war, der nichts hatte finden können. Ein Anruf, der alles verändert hatte, denn: Sie hatte nichts. Rein gar nichts. Es war nichts gefunden worden. Ihre Werte waren allesamt sehr gut. Für sie war eine Welt zusammengebrochen, obwohl jeder andere Mensch vermutlich glücklich darüber gewesen wäre. Sie war es nicht. Sie sehnte sich nach etwas anderem. Nach etwas, das man nicht so leicht haben konnte. Nämlich den Tod. Und der Onlinepsychiater hatte ihr das gegeben, was sie gebraucht hatte. Eine Bestätigung, dass sie krank war. Sie schien eine bipolare Störung zu haben und zudem noch schwer depressiv zu sein. Sie glaubte ihm, er war ja Psychiater. Wenn auch nur im Internet. Aber er hatte ihr erklärt, dass viele Menschen sich schämten, einen Psychiater aufzusuchen, deshalb bot er seine Dienste im Internet an, anonym. Auch das hatte Anna nicht stutzig gemacht, denn sie war froh gewesen, einen Menschen zu haben, der ihr half.
Und dann war der Tag gekommen, der ihre Welt für immer ändern sollte.
Seit Tagen hatte sie also nichts mehr von ihrem Psychiaterfreund, dessen Initialen »E. S.« lauteten, gehört. Sie war so wütend, denn er reagierte weder im Chat noch auf E-Mails. Sie war sauer und so tat sie etwas, das sie schon lange nicht mehr getan hatte. Sie ging aus dem Haus.
Ihr Magen fühlte sich flau an, als sie die Treppen von ihrer Wohnung aus nach unten ging. Sie hatte Angst vor der Welt und den Menschen da draußen. Aber ihre Wut auf alles und jeden gab ihr Kraft. Die Sonne tat ihr unendlich gut. Sie lachte sogar ein paarmal, als sie im Gras im Park saß und die ihr fremden Menschen beobachtete.
Es war ein angenehm warmer Tag, den sie liegend im Park verbrachte und die Zeit vergaß. Sie dachte den ganzen Tag nicht mehr an ihre Angst und ihren Psychiater. Sie träumte vor sich hin. So wie als Kind. Als sie noch eine Mutter hatte und ihr Vater noch nicht verrückt geworden war. Aber das war viele Jahre her. Sie beschloss – auf dieser warmen Wiese, an diesem Sommertag –, sie würde ihr Leben ändern. Ein für alle Mal. Sie würde sich mit ihrem Vater aussprechen und Hilfe annehmen. Das hätte sie längst tun sollen. Erst jetzt wurde es ihr klar.
Anna musste kurz eingenickt sein, denn als sie erwachte, fing es bereits an zu dämmern. Es war halb zehn und nur noch wenige Menschen waren im Park unterwegs. Aber sie verspürte immer noch Mut. Mut, ein neues Leben in Angriff zu nehmen. Sie würde ihr Studium, das ihr ohnehin keinen Spaß machte, abbrechen und hier aus dieser Stadt wegziehen. Sie hasste die Großstadt. Hatte nur ihrem Vater eins auswischen wollen, als sie vor einigen Jahren nach dem Abi nach München gezogen war.
Anna war voller Vorfreude, voller Tatendrang. Sie war so sehr in ihren Gedanken vertieft, dass sie die Schritte hinter sich nicht hörte. Sie war in einem kleinen Waldstück, dessen Weg zurück zur Bushaltestelle führte. Niemand war zu sehen. Sie hörte nichts, war nur in Gedanken und lächelte, zum ersten Mal seit Jahren, wieder vor sich hin.
Aber es war zu spät, sie konnte dem nicht mehr ausweichen, der sie ins Visier genommen hatte. Aber das wusste sie erst Minuten später.

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Donnerstag, 6. September 2018

Leseprobe Mordseifersucht - Thriller

 Link zum Buch: Mordseifersucht

Berlin, Frühjahr 2003

Horst

Zwei Monate waren seit dem schrecklichen Tod des Mädchens vergangen. Zwei Monate, in denen Horst wütend und traurig zugleich war. Er war so überfordert mit diesem Ausgang der Ermittlungen, dass er kaum mehr arbeiten konnte. Natürlich gab ihm niemand die Schuld. Die Staatsanwaltschaft hatte entschieden, Artur Wilden freizulassen. Aber Horst war gebrochen, denn er gab sich selbst die Schuld. Er hätte sich früher entscheiden können. Hätte eher dort sein können. Aber er war unsicher, hatte an seiner Urteilskraft gezweifelt und zu lange gewartet.

Als er am Hof von Artur Wilden angekommen war, der abgelegen und versteckt lag, war es zu spät gewesen. Es hatte geschneit und war eiskalt gewesen, doch die Tür des Hofes hatte offen gestanden, was Horst dazu verleitet hatte, seine Waffe zu ziehen. Langsam hatte er einen Fuß vor den anderen gesetzt und das Anwesen betreten, in dem er schon einmal gewesen war. Artur Wilden hatte schon lange zu den Verdächtigen gezählt, aber er war klug und ihnen immer einen Schritt voraus gewesen. Horst hatte plötzlich bereut, allein hergekommen zu sein, aber jetzt hatte es kein Zurück mehr gegeben. Er hatte Geräusche und war weiter vorangeschlichen. Immer tiefer in den Flur hinein, der so dunkel wie die Nacht vor ihm gelegen hatte. Dann hatte er eine Tür zuschlagen gehört und angefangen, schneller zu laufen, dorthin wo er das Geräusch vermutet hatte. Das Haus hatte auch noch eine Tür auf der Rückseite – diese hatte er gehört, denn als er dort angekommen war, hatte er ihn gesehen: Artur Wilden. Er hatte vor dem Haus gestanden, in den Händen hatte er das Mädchen gehalten, dessen Glieder leblos nach unten gehangen hatten. Horst war der Schweiß ausgebrochen. Er war noch nie in so einer Situation gewesen und völlig überfordert damit. Aber er war ruhig geblieben, genauso wie er es gelernt hatte.
»Artur, geben Sie mir das Kind. Es ist vorbei«, hatte er mit ruhiger und fester Stimme gesprochen.
Artus irre Augen würde Horst wohl nie im Leben vergessen. Er hatte gewirkt, als wäre er nicht im Hier und Jetzt.
»Artur, legen Sie das Kind auf den Boden, sofort!«, hatte Horst geschrien und die Waffe auf Artur gerichtet gehalten. Aber er war sich nicht sicher gewesen, ob er wirklich dort treffen würde, wohin er gezielt hatte. Er hatte auf keinen Fall das Mädchen treffen dürfen. Es hätte noch leben können. Das war seine einzige Hoffnung, sein Halt gewesen. Aber innerlich hatte er gewusst, dass das Mädchen tot war.

Doch diesen Gedanken hatte er verscheucht. Er hatte diese Hoffnung gebraucht.
Artur hatte angefangen zu lachen, laut, grell, verrückt und dann hatte er sich umgedreht. Das war die Chance für Horst gewesen, die er genutzt hatte. Er hatte Artur in den Hinterkopf geschossen, genau dort, wo er es beabsichtigt hatte. Es war alles so verdammt schnell gegangen. Artur war auf die Knie gefallen und sofort nach vorn gekippt. Horst war aber bei ihm gewesen, ehe das Mädchen von ihm erdrückt werden konnte. Horst hatte es sich geschnappt und es geschüttelt. Er hatte geschrien und geweint. Dann hatte er ihren Mund geöffnet und sie beatmet, doch es hatte nichts gebracht. Sie war tot. Horst hatte es nicht glauben wollen und nicht verstehen können. Wollte einfach nur sterben.
Das war vor zwei Monaten gewesen. Er spürte noch heute Emilias Hände auf seiner Haut. Sie hatte übernommen, denn er war dazu nicht mehr fähig gewesen. Er erinnerte sich an die erste Nacht mit ihr, an ihre Berührungen und ihre Liebe. Sie war ein Engel. Das hatte er vom ersten Moment an gewusst. Aber er würde sie vernichten, ihr nicht guttun, auch das hatte er gewusst. Dennoch verbrachten sie nun jede freie Minute miteinander. Emilia tat alles, um Horst glücklich zu machen. Und es gelang ihr, so sah es zumindest auf den ersten Blick aus.


Donnerstag, 19. Juli 2018

Auszug aus meinem neuen Thriller "Mordsvertrauen"

Mordsvertrauen


Prolog

Sie zitterte am ganzen Körper, obwohl es extrem warm war. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn, sie hatte Fieber, fühlte sich kraftlos und hatte überall Schmerzen. Sie war zu weit gegangen, viel zu weit. War geflüchtet und hatte doch nicht fliehen können. Sie hatten sie aufgespürt, genau das war es, was sie konnten. Menschen finden – oder verschwinden lassen. Und nun war sie verschwunden und eventuell würde niemand nach ihr suchen. Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie sich auf ihn verlassen konnte, oder? Das fragte sie sich schon die ganze Zeit. Was, wenn er ihr nicht helfen wollte oder konnte? Zumindest war Tim sicher, ihr kleiner Tim. Sie hoffte, es würde ihm gut gehen und sie würden ihn nicht finden. Aber wie sollten sie? Nein, er war in Sicherheit. Zumindest das hatte sie geschafft. Sie hatte ihren Tim in Gefahr gebracht, dafür würde sie sich ein Leben lang hassen. Sie hätte aufhören, aufgeben können, aber das konnte sie nicht. Denn es ging um Menschen, um Töchter von jemandem. Sie war auch jemandes Tochter, sie hatte alles riskiert und würde nun ihr Leben dafür lassen müssen. Aber auch das war egal, wenn Tim in Sicherheit war.

Zu gern würde sie Horst fragen, ob alles gut war. Aber sie konnte nicht, würde sterben, ohne zu erfahren, wo und wie Tim wirklich lebte. Sie bekam einen Kloß im Hals und verspürte wieder diese erbärmliche Angst, die nur eine Mutter fühlen konnte. Ihr Herz lebte irgendwo ohne sie weiter. Hoffentlich würde er glücklich werden, ohne sie. Horst wusste nicht, wie man mit Kindern umging. Wie auch? Aber nur ihm konnte sie Tim anvertrauen. Sie hoffte, er würde sich um ihn kümmern. Tim würde nach ihr fragen, nach ihr weinen. Er brauchte doch noch sein Fläschchen und seine Kuscheltiere in der Nacht. Sie wusste genau, wann sie ihm was in die Hand geben musste, um ihn zu beruhigen. Er würde sich wundern, wo sie war. Anfangs noch, dann würde er sie vermutlich irgendwann vergessen. Wieder ein Stich im Herzen. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, denn sie wollte nicht sterben. Wollte ihren Sohn nicht in dieser erbärmlichen Welt zurücklassen. Aber sie hatte keine andere Wahl. Lieber sie als er.

Die Hütte, in der sie sich befand, war irgendwo im Nirgendwo. Sie war allein, zumindest in diesem Raum, der, wäre es nicht so ein erbärmlicher Anlass, einfach wunderschön war. Die Hütte war wundervoll, wäre sie nicht eine Gefangene. Sie wusste nicht, wo sie war, aber zumindest hatte sie ein Bild vor Augen. Irgendwo in Bayern oder Österreich war sie. Sie sah die Landschaft, die Berge, die Wiesen. Keine anderen Häuser waren um sie herum, nur Wälder und Wiesen. Ein wundervoller Ort, aber nicht in ihrer Situation. Sie war gefesselt, ihr Mund war verklebt, aber sie konnte zumindest aus dem Fenster blicken. Ein paar Hundert Meter weiter unten, führte ein Weg entlang. Nur wenige Wanderer kamen vorbei, aber niemand verirrte sich hier hoch zu dieser abgelegenen Hütte. Sie hatte ihre Angreifer, ihre Entführer gesehen. Ihren Peinigern war es offenbar egal, denn sie würden sie sowieso töten. Sie hatte sie gesehen, kannte ihre Gesichter und sogar ihre Namen. Wusste, wessen Söhne sie waren. Wusste alles. Genau deshalb war sie hier. In einer einsamen Bergwelt, voller Wald, dahinter Gebirge. Irgendwo in Europa, genau wusste sie es nicht. Dann schloss sie die Augen.

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Mittwoch, 6. Juni 2018

Leseprobe zu "Mordsgeheimnis"

Prolog

Ich sehe hinab in die Schlucht und weiß, dass ich in wenigen Minuten tot sein werde. Gleich werde ich sterben. Dann hebe ich meinen Kopf, öffne die Augen und sehe die Wolken, die schnell an mir vorbeiziehen. Eine nach der anderen. Sie sind wunderschön weiß, dahinter der strahlend hellblaue Himmel, der so gar nicht zu diesem Anlass passt. Niemand ist in der Nähe. Ich bin allein, abseits vom Touristentrubel. Es darf auch keiner hier sein, denn in meiner rechten Hand halte ich eine Pistole. Sie fühlt sich kalt an, ein schweres Teil, das alles zerstört hatte. Oder war es die Hand gewesen, die sie geführt hatte? Wer weiß das schon? Es ist nicht mehr zu ändern. Ein Schuss aus dieser Pistole hatte dazu geführt, dass ich nun hier stehe. Direkt am Abgrund. Ich habe Angst. Aber ich unterdrücke den Schmerz, den Kummer, den Hass. Diese Gefühle helfen mir nicht weiter. Sie zeigen mir nur, wie tief ich doch gesunken bin, wir alle. Ich sehe bis ganz nach unten und erkenne ganz klein den See vor mir. Oft waren wir als Familie hier gewesen. Als noch alles in Ordnung gewesen war. Es hatte damals noch keinen Streit gegeben, keine Erbärmlichkeiten, keinen Hass. Oder aber ich war zu klein gewesen, zu dumm, um zu erkennen, dass meine Familie eine reine Fassade war. Ich schließe die Augen, der Wind wird stärker und ich schwanke leicht, aber mir wird nicht schwindelig, ich liebe die Höhe. Ich sehe meine Eltern vor mir, die sich küssen, sich aneinanderschmiegen, gemeinsam lachen. Ja, das sehe ich in meinen Erinnerungen. Aber dann kommen mir wieder die schlimmen Streitereien in den Sinn. Um Geld, um Schulnoten, um den Haushalt – ach, um einfach alles hatten sie gestritten. Laut und mit bösen Worten. In diesen Momenten hatte sich Konrad, mein kleiner Bruder, an mich gekuschelt und wir hatten mit Kopfhörern Geschichten gehört. Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg, Pumuckl. Alte Sachen, die uns unsere Oma geschenkt hatte.
Ich öffne die Augen und weiß, wenn ich den einen Schritt nach vorne wage, ist alles vorbei. Dann habe ich es geschafft und die anderen sind frei, für immer. Ich muss es tun, für sie. Dann fange ich an zu zittern, denn der Zeitpunkt naht, an dem ich springen muss. Ich kann nicht mehr zurück in die Gondel, die mich ins Tal bringen könnte. Das ist unmöglich. Ich nehme die Pistole in beide Hände, stecke sie in den Rucksack, schnalle ihn mir um, ganz fest, dass er auf keinen Fall beim Sprung abreißt. Er muss an mir dran bleiben, die Pistole muss bei mir sein. Mit meinen Fingerabdrücken darauf. Dann fühle ich den Brief, er ist noch da. Ich stecke ihn in die Hosentasche zurück und schließe erneut die Augen, spüre den Wind, höre die Vögel, das Rauschen des Bachs und des Waldes. Kann man sich denn einen schöneren Tod wünschen? Ich glaube nicht. In diesem einen letzten Moment stehe ich einfach da, und lebe. 

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Donnerstag, 31. Mai 2018

Auszug aus meinem neuen Thriller "MORDSGEHEIMNIS"




Verstrickungen

Stefanie

Stefanie quälte sich aus dem Bett, fasste sich an die Schläfe und massierte den pochenden Punkt, der ihr seit Tagen Schmerzen bereitete. Seit dem Verschwinden von Sophie bekam sie kaum mehr als zwei Stunden Schlaf pro Nacht und die waren unruhig und voller Qual. Es war kurz nach sieben an einem Sonntag, der so trüb und grässlich zum Fenster reinschaute, dass es Stefanie graute, einen Schritt aus dem Bett zu wagen. Ihr erster Weg führte sie ins Badezimmer, in dem sie sich ihr blasses, mit Pickeln übersätes Gesicht ansah. Sie hatte mal wieder vergessen, sich abzuschminken, von daher sah sie noch schlimmer aus als sonst. Außerdem machte ihr ihre Neurodermitis immer mehr Probleme. Sie sah schlimm aus. Für ihre Mitte dreißig konnte man sie heute auf gut zehn Jahre älter schätzen. Noch während sie sich die Zähne putzte, hörte sie neben sich ihr Handy vibrieren. Stefanie war ein Handy-Junkie. Hatte es sogar auf der Toilette dabei, war auf allen Social-Media-Plattformen unterwegs und liebte es. Ihr Boss, verdammt, was wollte der denn, dachte sie sich und sah zur Uhr. Alles noch im Rahmen, er wusste, dass sie öfter mal ein paar Minuten zu spät in der Dienststelle erschien. Der Fall mit dem vermissten Mädchen setzte allen zu. Sie arbeiteten fast rund um die Uhr, doch es war schon zu viel Zeit vergangen. Die Chance, sie lebend zu finden schwand mit jeder Stunde.
»Horst, guten Morgen. Ich bin beim Zähneputzen. Was ist los?« Horst und Stefanie hatten ein freundschaftliches Verhältnis. Auch die eine Nacht nach der Betriebsfeier vor einigen Jahren hatte daran nichts geändert.
»Wir haben eine Tote.«
»Das Mädchen?«, keuchte sie ins Telefon und spukte nun die Zahnpasta aus.
»Nein, eine Frau. Mord, eindeutig.«
»Wieso eindeutig?«
»Der Mord war live im Internet zu sehen.«
»Wie bitte?«
»Ich erkläre dir dann alles. Wir treffen uns direkt dort. Ich schicke dir die Adresse durch.«
»Geht klar, bis gleich.«
Schnell schlüpfte sie in die Jeans und das Shirt vom Vortag und schnappte sich einen Latte aus dem Kühlschrank. Noch so eine Sucht, die sie nicht in den Griff bekam. Während sie ihre Stahlwendeltreppe nach unten hüpfte, schlüpfte sie in ihre Lederjacke und war wenige Minuten später in ihrem Wagen. Noch ein Blick in den Spiegel, verdammt die Neurodermitis um die Augen wurde immer schlimmer. Auch wenn sie nicht allzu eitel war, so hasste sie es, so fertig auszusehen.
Sie gab die Adresse in ihr Navi ein, denn sie kannte sich hier auf dem Land immer noch nicht wirklich aus. Laut Navi würde sie dreißig Minuten fahren, in ein kleines Dorf außerhalb der Stadt.
Sie startete den Motor und schüttelte den Kopf. Ein verschwundenes Mädchen und eine tote Frau. Sie wusste noch nichts über die Tote, aber für so ein Kaff hier in Bayern war das Ganze schon recht viel auf einmal. Zuerst passierte Jahre nichts, und nun zwei Fälle auf einmal, die Aufmerksamkeit mit sich brachten.
Sie dachte über die Worte ihres Kollegen nach. Der Mord war live im Internet zu sehen. Das war mal was Neues, verdammt.
Eine halbe Stunde später fuhr sie in einen hübschen Ort namens Kirchdorf. Moderne Häuser, teure Autos vor den Türen, so wie man es von Bayern kannte. Zumindest kam es Stefanie seit fünfzehn Jahren so vor. Sie selbst stammte aus einem bürgerlichen Elternhaus mitten in Berlin. Doch das Stadtleben war nichts für sie, auch nicht, nachdem sie zur Kommissarin aufgestiegen war. Sie wollte raus, bewarb sich überall und landete schließlich in Niederbayern.
Von Weitem sah sie bereits die Absperrungen und die Polizeiautos, aber kaum Schaulustige. Gut, um diese Uhrzeit waren wohl die meisten Leute in der Arbeit. Was gut war. Sie hielt direkt vor der rot-weißen Absperrung und begrüßte die Polizistin, die vor dem Haus stand.
»Guten Morgen.«
»Morgen«, sagte Stefanie kurz und knapp. So war sie. Sie hasste Small Talk, wollte immer gleich zum Punkt kommen.
Das Haus fand Stefanie wunderschön. Die Auffahrt war im alten Stil gehalten, während das Haus total modern war. Viel Glas, viel Weiß. Hier wohnten Leute, denen es finanziell sicher gut ging. Dann sah sie die Schaukel im Garten und ihr wurde mulmig. Es gab also Kinder.
Noch wusste sie nicht, welche Person tot war, aber sie hatte eine böse Vorahnung.
Horst war noch nicht da, wie sie feststellte. Sie unterhielt sich mit dem Polizisten, der als Erster hier angekommen war. Er führte sie durch einen Flur, der etliche Familienbilder an den Wänden zeigte, während er ihr den Sachverhalt schilderte.
»Die Tote ist die Mutter der Familie, Susanne Winter. Sie lebt hier mit ihren Kindern Lilly und Konrad.«
»Ohne Vater?«
»Der ist ausgezogen, noch nicht so lange her. Das hat die Nachbarin erzählt.«
»Ihr habt schon Leute befragt?«
»Ja, einige, wir sind schon eine Weile hier.«
»Weiß man die Todesursache?«
»Ja, sie wurde erschossen.«
Stefanie sagte nichts mehr, denn sie sah die Leiche einer Frau vor sich, die am Boden lag, eine Lache voller Blut um sie herum. Die Spurensicherung war bereits hier, hatte aber noch nichts verändert.
»Guten Morgen, Stefanie.« Philipp und Stefanie kannten sich von früheren Fällen. Er wusste, wie sie vorging, und hatte auf sie gewartet.
»Sollen wir rausgehen?«
»Ja bitte«, antwortete Stefanie. Sie wollte den Tatort allein begutachten, das machte sie immer. Ein paar Minuten allein mit dem Opfer und sie bekam eine Ahnung von dem Leben, das die Toten geführt hatten. Ein wenig Umschauen im Ort des Geschehens, und sie konnte sich besser in den Fall hineinfühlen. Sie schloss oft die Augen, sog die Luft ein und dachte sich in das Leben der Opfer oder in das der Täter hinein. Es fiel ihr leicht, sich in andere hineinzuversetzen. Sie wollte noch nie gern sie selbst sein. Nein, schon immer sehnte sie sich nach einem anderen Leben. So hatte sie die Möglichkeit, Personen kennenzulernen, die krank, panisch, naiv oder tot waren. Sie liebte es, die Gesichter zu erforschen, das Verhalten zu analysieren. Genau darin lag ihre Stärke. Und doch war sie nur in der Provinz gelandet, zu mehr hatte es doch nicht gereicht.
Plötzlich war es ganz still um sie herum, sie hörte nichts mehr, war völlig bei dem Opfer. Sie konnte das Gesicht der Frau nicht sehen, vermutete aber, dass sie eine schöne Frau war. Lange Haare, gute Figur, teure Kleidung. Das Wohnzimmer, in dem sie sich befand, war großzügig, aber sehr kühl. Alles in hellen Farben. Die Gartentür stand offen. Von dort, vermutete Stefanie, musste der Täter gekommen sein. Nichts deutete auf einen Kampf hin. Sie ging zur Tür und trat hinaus, die Sonne schien, es würde ein wundervoller Tag werden. Dann drehte sie sich um und fühlte sich in den Täter hinein. Sie sah das Stativ mit einem Handy darauf, dahinter die Leiche. Die Tür hatte zur Tatzeit offen gestanden, denn es waren keine Glassplitter zu sehen. Sie trat erneut durch die Tür und ging auf die Leiche zu, bückte sich und fragte laut: »Was hast du nur getan, um so zu sterben?« Sie war sich sicher, das war kein Einbruch. Die Tat hatte ein persönliches Motiv. Sie hatte einen guten Riecher für solche Dramen.
Dann erschien Horst hinter ihr und sie erschrak, da sie zu sehr in ihren Gedanken versunken war.
»Morgen, Stefanie. Was haben wir?«
Während Stefanie berichtete, was sie wusste, machte sich Philip von der Spurensicherung an seine Arbeit.
Der Polizist von vorhin tauchte wieder auf.
»Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte Horst ihn.
»Die Tochter.«
»Ist sie hier?«
»Ja, sie sitzt im Krankenwagen, ist ziemlich mitgenommen.«
»Wie alt ist sie?«
»Ein Teenager, keine Ahnung, wie alt sie ist.«
»Soll ich mit ihr sprechen?«, fragte Stefanie.
»Ja, wäre mir lieber. Ich mache hier weiter«, sagte Horst.
»In Ordnung.«
Und in dem Moment, als sie nach draußen gehen wollte, fiel ihr im Augenwinkel etwas auf. Sie musste einen Schritt zurückgehen und noch mal genauer hinsehen. Sie kniff die Augen zusammen und begutachtete den Fotorahmen, in dem Schnappschüsse zu sehen waren. Es war unglaublich, aber eindeutig.