Freitag, 9. Dezember 2016

Große Leseprobe zu "Bittere Rache" - Psychothriller!



Mimi & Maria

Mimi und Maria sahen sich seit fünf Monaten zum ersten Mal wieder. Seit sie beide an verschiedenen Universitäten studierten, sahen sie sich immer seltener. Das Ereignis, das sie wieder einmal zusammenbrachte, war der Geburtstag ihrer Mutter. Sie waren eineiige Zwillinge und sahen komplett identisch aus, doch charakterlich hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Als sie Kinder waren, teilten sie alles. Sie waren wie Pech und Schwefel. Nur den Tod ihrer älteren Schwester verarbeiteten sie auf unterschiedliche Weise und verloren sich dabei. Maria war die selbstbewusste, kluge Musterschülerin, während Mimi rebellierte. Sie ließ sich mehrfach tätowieren und trug einen Ring in der Nase. Sie wollte sich von ihrer Zwillingsschwester abgrenzen. Sie war ebenso klug, doch die schulischen Leistungen litten. Erst nach dem Abitur, als sich die Wege der Zwillinge trennten, konnte Mimi wieder frei atmen. Maria bestimmte nicht mehr über ihr Leben. Sie saßen auf der Terrasse und nippten beide an einem Glas Sekt.
„Und wie geht’s deinem Freund?“, brach Maria das Schweigen.
„Gut.“
„Warum ist er nicht mitgekommen?“
Maria hob überheblich die Augenbrauen.
„Ich denke nicht, dass er dabei sein muss.“
Mimi ließ sich nicht provozieren. Sie lächelte ihre Schwester siegessicher an. Maria hatte keinen Freund. Mimi wusste nicht, ob sie überhaupt schon einmal einen hatte. Es war ihr auch egal. Morgen flog sie wieder zurück nach London. Dort konnte sie wieder atmen. Nur noch einen Tag.
Ihre Mutter kam mit belegten Brötchen zurück und setzte sich auch in einen Liegestuhl. Sie wirkte gestresst. Ihre Haut sah blass aus und sie war nur wenig geschminkt. Das war untypisch für die sonst so gepflegte Frau.
„Er ist frei.“
Karla sagte es so beiläufig, dass die Mädchen zuerst nicht verstanden.
„Was?“, fragte Mimi.
„Der Mörder eurer Schwester ist wieder auf freiem Fuß. Er lebt in Berlin.“
Das erste Mal sahen sich die beiden Schwestern in die Augen. Sie dachten dasselbe. Angst umklammerte ihre beiden Herzen.  
„Seit wann?“, fragte Maria. Sie wirkte aufgerüttelt, nervös.
„Seit ein paar Wochen. Ich kann nicht mehr schlafen. Ich werde verrückt, wenn ich an diesen Bastard denke.“
Karla zitterte am ganzen Leib, doch keine der beiden Töchter umarmte sie. Zu groß war der Graben zwischen ihnen.
„Mutter, du musst dir Hilfe holen. Du kommst mit dem Tod von Maja einfach nicht zurecht.“
„Ach, was weißt du schon. Ich habe ein Kind verloren. Er hat es getötet.“
Maria verstummte, denn auch ihr Leben war seitdem nicht mehr dasselbe. Ihre Kindheit hatte einen tiefen Riss bekommen. Seit diesem einen verdammten Sommerabend. 
Alle drei blieben stumm und versanken in eigenen Gedanken. Maria und Mimi wussten beide, was die jeweils andere über den Mord dachte. Sie sprachen aber niemals darüber, das hatten sie sich geschworen. 



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