Es war kurz nach Mitternacht, als Horst Braun mit seiner neuesten Eroberung
nach Hause kam. Sie war blond, klein, weiblich, genau so, wie er es mochte. Er
schenkte ihr ein Glas Wein ein. Sie war schon ein wenig beschwipst, doch ein Glas
mehr konnte nicht schaden. Anscheinend benötigte sie aber keins mehr. Denn sie
kam auf ihn zu und küsste ihn. Ihre Hand legte sich um seinen Nacken, sie zog
ihn dicht an sich. Er spürte ein leichtes Verlangen. Sie küsste fordernd. Es
war eindeutig, dass sie ihn wollte. Er packte sie und sie legte ein Bein um
seine Hüfte, dabei drückte er sie an die Wand. Sie zog sein Hemd aus, wurde
immer wilder. Er ließ sich auf die Couch fallen. Sie kniete sich vor ihn und
öffnete seine Hose. Horst genoss die Nacht mit der Unbekannten. Wie so viele
Nächte zuvor ließ er sich treiben. Er trank zu viel, konnte sich immer weniger
auf seine Arbeit als Kriminalhauptkommissar konzentrieren. In seinem Gebiet war
zwar meist nicht viel los, doch selbst Kleinigkeiten brachten ihn auf die
Palme. Er wurde oft ungehalten. Legte sich mit seinen Mitarbeitern an. Und
wurde dabei immer unbeliebter. Doch es war ihm egal. Er lebte nur noch für die
Nächte in den Bars und Kneipen. Er litt schon seit vielen Jahren an
Schlaflosigkeit. Fühlte sich am Morgen immer gerädert und frustriert. Jede noch
so tolle Frau war dann vergessen.
Mitten in der Nacht läutete sein Handy. Verwirrt sah er auf das Display. Es
war die Dienststelle. Er hatte schon über ein Jahr keinen nächtlichen Anruf
mehr erhalten. Er sah nach links neben sich. Die Unbekannte lag schlafend neben
ihm. Sie schien nichts zu hören. Er zögerte, wollte nicht dran gehen. Doch das
konnte er sich nicht leisten. Sein Chef hatte ein Auge auf ihn und das ging
Horst gewaltig auf die Nerven. Leise ging er ans Handy.
„Braun hier, was gibt’s?“
„Herr Braun, hier spricht Angela Kammer. Ich soll Ihnen unverzüglich
Bescheid geben, dass Sie sofort in die Höllgasse kommen sollen. Es geht um
einen Mord.“
„Wie bitte? Scheiße, verdammt nochmal.“ Fluchend legte er auf.
Eine Leiche. Was wird das wohl wieder sein? Immer noch ein wenig angetrunken kroch Horst aus dem
Bett. Er fröstelte, als seine nackten Füße den Boden berührten. Es war eiskalt
in dieser Bude. Schnell schlüpfte er in seine alten Sachen vom Vortag. Während
er seine Socken suchte, dachte er über den letzten Mord in seinem Gebiet nach.
Damals war ein Ehestreit eskaliert. Der Mann erstach seine Frau mit einem
Küchenmesser. Er gestand unter Tränen und der Fall war abgehakt. Was mochte es
wohl diesmal sein? In weniger als zehn Minuten stand er auf der Straße. Er
beschloss, zu Fuß zu gehen. Von der Innstadt, in der sich seine Wohnung befand,
waren es nur wenige Minuten in die Altstadt von Passau – dort lag die
Höllgasse. Die Luft roch gut. Es war eine angenehme Julinacht. Strammen
Schrittes ging er über die Innbrücke, hörte einige Jugendliche am Innufer
feiern und steuerte die Domstufen an. Nach wenigen Minuten stand er auf dem
Domplatz. Jetzt hörte er Polizeisirenen. Er beschleunigte seine Schritte und
wurde kurz vor der Höllgasse von einem Streifenpolizisten abgefangen. Die
komplette Gasse war abgesperrt und von Schaulustigen umgeben. Die Leute
streckten die Köpfe aus den Fenstern, in der Hoffnung, etwas von dem Elend zu
sehen, das Horst gleich erwartete.
„Wir haben zwei Leichen. Ein Mann und eine Frau. Sehr jung.“
Horst stieg unter der Absperrung hindurch. Er sah seinen Kollegen Peter
Thoma von der Spurensicherung. Er nickte ihm kurz zu. Und dann sah er sie
plötzlich vor sich: Ein Liebespaar. Eng umschlungen, nackt, blutverschmiert.
Horst konnte den Blick nicht von dem abartigen Schauspiel vor sich abwenden. So
etwas hatte er noch nie gesehen. Das Paar sah aus, als wäre es während des
Liebesspiels ermordet worden. Er ging um die Leichen herum. Es war eindeutig,
was die Pose des Paares darstellen sollte. Dann sah er Becky, seine Kollegin.
„Becky, seit wann bist du hier?“
„Ich bin auch erst vor ein paar Minuten gekommen, grauenvoll. Sieh dir das
an.“ Horst nickte.
„Was haben wir bisher?“
„Wenig, die beiden Opfer sind nackt, keine Ausweisdokumente. Wir gehen
davon aus, dass es sich um die beiden seit drei Monaten vermissten Studenten
handelt. Erinnerst du dich daran?“
„Ja, klar. Könnte passen. Wer hat die Toten gefunden?“
„Ein Rentner, der hier wohnt. Er wollte nochmal mit dem Hund raus, das war
vor etwa 45 Minuten. Er sitzt dort drüben, steht komplett neben sich.
„Ja, verständlich bei diesem Anblick.“
Horst und Becky verfolgten das Treiben der Spurensicherung und sahen sich
dabei die Leichen genauer an. Die Hände des jungen Mannes umschlangen das
Mädchen, das unter ihm lag. Die Beine der jungen Frau waren weit gespreizt und
umklammerten den Körper des Mannes. Überall war Blut, doch man konnte keine
Wunden an den Opfern sehen.
„Wo kommt das ganze Blut her? Ich sehe keine Wunden.“ Horst wandte sich
wieder an Thoma, der die Leitung der Spurensicherung innehielt.
„Das Blut stammt nicht von den Leichen. Sie wurden damit überschüttet. Die
junge Frau trägt Würgespuren am Hals. Könnte die mögliche Todesursache sein.
Aber sicher kann ich das erst im Labor sagen.“
Horst und Becky nickten. Horst wurde nervös. Nicht umsonst hatte er sich
vor fast zwanzig Jahren von Berlin nach Passau versetzen lassen. Er liebte die
idyllische Kleinstadt über alles. Hier war es ruhig, er hatte genügend Freizeit
und konnte sein Leben genießen. Das wäre in Berlin undenkbar gewesen. Und jetzt
so etwas. Verdammter Mist.
„Becky, das wird ein Medienzirkus werden.“
„Ich weiß, Horst, ich weiß.“
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