Montag, 19. September 2016

Leseprobe zu "Ich bin in deinen Träumen" - Psychothriller




Sie starrten beide reglos auf den See, der ruhig im Dämmerlicht vor ihnen lag. Beiden hatte es die Sprache verschlagen, der Schock saß noch tief. Bei ihm unendlich tiefer als bei ihr. Denn sie hatte es darauf angelegt. Doch auch sie war geschockt, war nervös. Wie würde er sich verhalten? Sie wartete - auf ein Zeichen, zumindest auf Wut, doch er blieb stumm. Vorsichtig näherte sich ihre Hand der seinen. Er zuckte nicht zurück, im Gegenteil. Er drückte sie fester. Tränen stiegen ihr in die Augen. Er liebte sie. Er würde sie immer lieben. So blieben sie sitzen bis die Nacht über ihnen hereinbrach. Kein Wort brachte er über die Lippen. Doch er wusste, er musste handeln. Er musste zu dem, was er angerichtet hatte, stehen. Er hatte keine Wahl. Er starrte immer noch auf den See. auf seinen geliebten See. Wie viele schöne Momente hatte er hier erlebt. Mit seiner Familie, seinen Freunden - mit sich alleine. Und mit Anna. Hier hatte er sich mit Anna geliebt - das erste Mal. Hier hatte er das erste Mal richtigen Sex. Er war oft hier, im Sommer jeden Tag. Er liebte den See, der so beschützend vor ihm lag. Er kannte die Wälder rundum wie seine Westentasche. Hier hatten sie als Kinder Räuber und Gendarm gespielt und er später von seinem Vater das Jagen erlernt. Der Mond stand hoch über ihnen und spendete romantisches Licht. Doch ihm war nicht nach Romantik zumute. Er war der Mann, er musste nun eine Entscheidung treffen. Seit Tagen konnte er nicht mehr essen, nicht mehr schlafen. Obwohl er wusste, dass so etwas passieren konnte, war er sprachlos, als sie es ihm mitteilte. Er verlor den Boden unter den Füßen. Seitdem sah er sich fallen, immer tiefer fallen. Ein Höllenfeuer würde auf ihn warten. Es würde ihn verschlingen. Sein Leib würde brennen, brennen, brennen. Sie zuckte  zusammen, als er plötzlich seine Stimme erhob, leise, sehr leise, doch laut genug, um sie zu erschrecken, ihr Angst zu machen. Es lag etwas in seiner Stimme, das sie fürchtete. Sie kannte die Worte und die Sätze, die er leise formte. Ihre Stimme war brüchig, als sie es ihm gleichtat. Auch sie suchte Vergebung.

…dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auf wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.



Und immer wieder wiederholten sie es. Bis sie nicht mehr konnten. Bis sie hofften, endlich eine Lösung zu finden. Doch vor dem Horror, der folgen würde, gab es kein Entrinnen. Er ahnte es – sie wusste es.

Vorwort

Melanie von Graf war eine der Nachfahren der bekannten Familie von Graf, die in den späten fünfziger Jahren durch mehrere Hotels zu einem ansehnlichen Vermögen kam. Melanies Großvater Johann war der Gründer einer bekannten Hotelkette in Europa. Mit mehr als hundert Hotels und verschiedenen Restaurants hatte er sich großes Ansehen und ein beachtliches Vermögen erworben. Anfangs war er auch politisch sehr engagiert, doch mit den Jahren wurde er immer ruhiger. Ende der siebziger Jahre zog er sich komplett aus dem Unternehmen zurück und überließ die Führung seinen Söhnen - Frank, Martin und Ludwig. Großvater Johann lebte dann mit seiner Frau Erna auf dem Familienanwesen in Bayern und hielt sich aus den Geschäften seiner Kinder fast komplett heraus. Auf dem Familienanwesen standen ebenfalls die Villen der Söhne und ein kleines Häuschen, das für zwei enge Freunde - die gleichzeitig Hausmeister und Gärtner waren - zur Verfügung stand. Johann von Graf starb 1985 nach einem längeren Krebsleiden  und hinterließ sein gesamtes Vermögen sowie die Geschäfte seinen drei Söhnen.

Martin von Graf war Melanies Vater. Er galt als resolut, selbstbewusst und war beim Personal gefürchtet. Den Aussagen ehemaliger Angestellter zufolge war er durchaus aggressiv und behandelte seine Frau und die Kinder von oben herab. Er war auch schon mehrfach auffällig geworden und verschiedene Medien berichteten von Alkohol- und Glücksspielexzessen. Martin von Graf war auch der Vater von Melanies um ein Jahr älteren Bruders Michael und ihrer jüngeren Schwester Sofia. 

Frank von Graf war der zweitälteste Sohn. Er wurde als ruhig und bedacht beschrieben. Er kümmerte sich um die Buchführung und die Zahlen im Unternehmen. Da aber alle Söhne kein großes Interesse an der Firma und an den Hotels hatten, stellten sie bald für jede erdenkliche Arbeit Manager ein. Frank von Graf hatte zwei Kinder, Thomas war der älteste Sohn und war um ein Jahr älter als Melanies Bruder Michael. Elisabeth war genauso alt wie Melanie. Franks Frau war bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Der jüngste Sohn hieß Ludwig von Graf, er hatte eine Tochter Marlene und einen behinderten Sohn Sebastian. Ludwigs Frau Andrea kümmerte sich liebevoll um den behinderten Sohn. Über Ludwig von Graf war sehr wenig bekannt. Er lebte zurückgezogener als seine Brüder.

Am 12. September 2003 starben durch den Amoklauf von Melanie von Graf neun Menschen. Darunter Frank, Martin und Ludwig von Graf, also die drei Brüder und zugleich Melanies Onkel. Melanies Mutter Lucia und Ludwigs Frau Andrea wurden ebenfalls getötet. Außerdem starben Melanies Bruder Michael und Ihr Cousin Thomas. Anton und Klaus – Hausmeister und Gärtner der Familie,  wurden ebenfalls durch Schüsse getötet. Sie waren beide ledig und führten gemeinsam einen Haushalt. Es waren also sieben Menschen der Familie Graf und zwei Freunde der Familie durch die Schüsse von Melanie getötet worden. Vor Gericht verweigerte sie jede Stellungnahme und bekannte sich für schuldig.  Das hieß – 15 Jahre Haft wegen mehrfachen Mordes.  Zum Zeitpunkt der Tat war sie 21 Jahre alt und laut Gericht voll schuldfähig. So wurde sie dann auch nach dem  Erwachsenenstrafrecht verurteilt. Den Anschlag überlebt haben Sofia und die Cousinen Elisabeth, Marlene und der behinderte Sohn Sebastian. Elisabeth war damals bereits achtzehn Jahre alt und verlies Bayern und das Anwesen der Familie von Graf. Sie fing irgendwo ein neues Leben an und änderte ihre Identität. Melanie hörte nie wieder etwas von ihr. Marlene war sechzehn Jahre alt und lebte die nächsten zwei Jahre bis zu Ihrem achtzehnten Lebensjahr bei Erna, der Großmutter. Auch Sofia und Ludwig kamen zu Erna. Sie lebten weiterhin auf dem Anwesen der Familie von Graf, doch in keiner der Villen, sondern in dem kleinen Anwesen der Angestellten.



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