Josephine & Jonathan
Er strich noch einmal über die Pistole, die er aus dem Schrank seines Großvaters genommen hatte, und dachte einige Minuten über das nach, was er seit Wochen geplant hatte. Es war ein Plan, den er penibel verfolgte, den er unbedingt durchziehen wollte - doch durch Josephine hatte sich vieles verändert. Seit Josephine und er Freunde waren, ging er mit einem Lächeln durch die Welt und das kalte, schwarze Ding in seinen Händen hatte seine Bedeutung verloren. Er versteckte die Pistole wieder unter der Matratze, denn er brauchte sie nicht mehr, er war jetzt ein Gewinner - ja, er, Jonathan war endlich ein Gewinner. 15 Jahre lang stand er auf der Verliererseite, doch mit Josephine war nun alles anders geworden. Seine Hände wurden nass, er spürte wie sein Herz zu klopfen begann, er schwebte auf einer Wolke, einer Glückswolke. Langsam ging er nach unten zu seiner Mutter und seinem Vater, die wie jeden Tag um Punkt fünf Uhr zu Abend aßen. Sein Vater saß bereits auf seinem Platz, seine Krawatte gelockert wie immer. Beide sprachen nicht, sie hatten sich schon seit Jahren nichts mehr zu sagen. Wortlos saßen sie da - seine Familie und er. Er hasste diesen Anblick, diese Spießigkeit und die Düsternis in dieser Bude, die eigentlich sein Zuhause sein sollte. Die Vorhänge ließen kein Licht in die Küche, die Möbel waren dunkel und die Küche stank nach abgestandenem Essen. Nach außen hin waren sie eine perfekte Familie. Sein Vater, der alte Sack, ging täglich seiner langweiligen Arbeit im Finanzamt nach. Hatte nichts anderes als Anzug und Krawatte und selbst im Sommer bei 30 Grad zog er die Tennissocken, die er dazu trug, nicht aus. Seine Mutter, die seinen Vater zu einem verweichlichten Versager gemacht hatte, wollte immer Perfektion. Es musste alles so sein, wie sie es sich vorstellte. Schon als Jonathan noch ein Kleinkind war, trimmte sie ihren kleinen Liebling zu Bestleistungen. Er spielte kein Fußball und musste immer und überall vorsichtig sein. Damals dachte er nicht darüber nach, aber heute wusste er, dass es nicht normal war, wie sie Jonathan behütete. Sie sah ihn an und fragte, wie sein Tag gewesen war, aber er antwortete nicht. Er lachte innerlich, denn seine kleinkarierte Welt würde er von nun an hinter sich lassen. Er hatte eine Freundin - er hatte Josephine. Vergessen war die Liste, die schwarze Liste mit den Namen, die es auszulöschen galt.
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