Donnerstag, 26. Dezember 2019

Todesblock Leseprobe

 Leseprobe zu "Todesblock"

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1985: Leichenblock

Ein grauer Novembertag in einem heruntergekommenen Wohnblock in der Nähe von Passau. Hier lebten Menschen, die keine andere Wahl hatten, Drogensüchtige, ehemalige Obdachlose, Prostituierte, Alkoholiker oder einfach Gescheiterte. In der Kleinstadt gab es keine extremen Viertel, aber doch Plätze, die man nicht als Vorzeigeobjekte sah. So wie dieser Block, der im Regen und Nebel dahinvegetierte.
Der hässliche braune Anstrich des Wohnblocks hatte auch schon mal bessere Tage gesehen. Der Gestank von Pisse und Kotze lag in der Luft. Überall blätterte der Putz von den Wänden, die Scheiben der alten Fenster waren angelaufen und Berge von Müll standen auf den Balkonen herum.
Kaputte Wäscheständer, ungeputzte Grills, Alkoholflaschen, tote Tiere lagen dort ebenfalls. Vor dem Haus, ein kleiner Spielplatz mit kaputten Geräten, hier spielte niemand gern.
An manchen Fenstern hing eine Sat-Schüssel, Fernsehgeräusche hörte man aus jeder Wohnung oder Musik. Ruhig war es hier selten. Streit an der Tagesordnung.
Acht Wohnungen gab es in dem Block, die alle voller Schimmel und Ungeziefer waren. Manche waren gepflegter als andere und doch alle baufällig. Insgesamt lebten 17 Menschen in dem Block.

Ein alleinstehender Alkoholiker, 68 Jahre alt. Seine Lieblingsbeschäftigung waren die Nachmittagssendungen im TV.
Ein älteres Paar, das früher auf der Straße gelebt hatte und jetzt seinen Lebensabend am liebsten auf dem Balkon verbrachte.
Eine WG von zwei Jungs und einem Mädel, alle waren 24 Jahre alt und drogenabhängig.
Eine alleinstehende Frau, 54, die auf die schiefe Bahn geriet, als ihr Sohn wegen Mordes ins Gefängnis musste. Sie arbeitete als Putzfrau und besuchte ihren Sohn jeden Monat.
Eine serbische Familie mit zwei Kindern, die unbedingt weg von diesem Elend wollte.
Eine alleinerziehende Frau, 44 und ihr Sohn 18, der mit Drogen dealte.
Eine alleinerziehende Zweifachmama von Kleinkindern im Alter von 3 und 5 Jahren.
Ein Ex-Häftling, der sich nur in der Wohnung aufhielt und seine Lebensmittel alle online bestellte.

Das waren die Menschen hinter dem Block. Menschen, unschuldig geboren, in eine Welt, in der sie scheiterten. Und doch lebten sie. Noch ... Zwei Tage schon war es ruhig in dem Block, keine Menschenseele in Sicht. Obwohl es nass und regnerisch war, machte sich ein Nachbar so seine Gedanken. Dieser Nachbar saß im Block gegenüber, vor seinem Fenster war ein Autospiegel angebracht, um alles genau beobachten zu können.
Tagein tagaus saß er dort und beobachtete die Menschen, die Balkone, die vorfahrenden Autos und den Streit hinter den Fenstern.
Nun aber sah er im gegenüberliegenden Block seit Tagen nichts mehr, was ihm seltsam vorkam. Die Balkontüren waren alle geschlossen, die Fenster ebenso. Die Haupteingangstür rührte sich nicht.
Es war noch nicht mal sechs Uhr abends, als er das Telefon nahm und die Wählscheibe benutzte, um die Polizei zu verständigen.
Belächelt wurde er, aber eine Streife wurde dann doch vorbeigeschickt. In seinem gammeligen Hemd, seiner alten Jogginghose und mit den fast 200 Kilo wartete er rauchend vor seinem Block.
„Hier, das ist er.“ Mit einer Hand deutete er auf den braunen Bau, der elendig und ruhig vor ihnen lag.
„Sie können wieder rein gehen, wir sehen nach und geben Ihnen dann Bescheid.“
„Meinetwegen“, antwortete er, blieb aber vor seinem Block stehen.
Die beiden Polizisten drückten zuerst auf eine der Klingeln, dann auf eine andere, letztendlich betätigten sie alle Knöpfe, das konnte der Nachbar beobachten.
Sie sahen sich verstohlen um.
Dann passierte erst mal nichts, die Beamten gingen um den Block, schauten zu den Fenstern hoch, gingen zurück zum Wagen. Sie nahmen das Funkgerät in die Hand, dann gingen sie zurück zum Haus. Gewaltsam öffneten sie die Eingangstüre und verschwanden dahinter.
Genau sieben Minuten später sah der Nachbar die beiden Beamten aus dem Haus stürmen, noch bevor die Tür sich schloss, übergab sich einer von ihnen, mitten auf dem Gehweg. Gänsehaut lief dem Nachbarn über die Haut, denn in den Gesichtern der Polizisten sah er blankes Entsetzen.

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