Link zum Buch: Mordseifersucht
Berlin, Frühjahr 2003
Horst
Zwei Monate waren seit dem schrecklichen Tod des Mädchens vergangen. Zwei Monate, in denen Horst wütend und traurig zugleich war. Er war so überfordert mit diesem Ausgang der Ermittlungen, dass er kaum mehr arbeiten konnte. Natürlich gab ihm niemand die Schuld. Die Staatsanwaltschaft hatte entschieden, Artur Wilden freizulassen. Aber Horst war gebrochen, denn er gab sich selbst die Schuld. Er hätte sich früher entscheiden können. Hätte eher dort sein können. Aber er war unsicher, hatte an seiner Urteilskraft gezweifelt und zu lange gewartet.
Als er am Hof von Artur Wilden angekommen war, der abgelegen und versteckt lag, war es zu spät gewesen. Es hatte geschneit und war eiskalt gewesen, doch die Tür des Hofes hatte offen gestanden, was Horst dazu verleitet hatte, seine Waffe zu ziehen. Langsam hatte er einen Fuß vor den anderen gesetzt und das Anwesen betreten, in dem er schon einmal gewesen war. Artur Wilden hatte schon lange zu den Verdächtigen gezählt, aber er war klug und ihnen immer einen Schritt voraus gewesen. Horst hatte plötzlich bereut, allein hergekommen zu sein, aber jetzt hatte es kein Zurück mehr gegeben. Er hatte Geräusche und war weiter vorangeschlichen. Immer tiefer in den Flur hinein, der so dunkel wie die Nacht vor ihm gelegen hatte. Dann hatte er eine Tür zuschlagen gehört und angefangen, schneller zu laufen, dorthin wo er das Geräusch vermutet hatte. Das Haus hatte auch noch eine Tür auf der Rückseite – diese hatte er gehört, denn als er dort angekommen war, hatte er ihn gesehen: Artur Wilden. Er hatte vor dem Haus gestanden, in den Händen hatte er das Mädchen gehalten, dessen Glieder leblos nach unten gehangen hatten. Horst war der Schweiß ausgebrochen. Er war noch nie in so einer Situation gewesen und völlig überfordert damit. Aber er war ruhig geblieben, genauso wie er es gelernt hatte.
»Artur, geben Sie mir das Kind. Es ist vorbei«, hatte er mit ruhiger und fester Stimme gesprochen.
Artus irre Augen würde Horst wohl nie im Leben vergessen. Er hatte gewirkt, als wäre er nicht im Hier und Jetzt.
»Artur, legen Sie das Kind auf den Boden, sofort!«, hatte Horst geschrien und die Waffe auf Artur gerichtet gehalten. Aber er war sich nicht sicher gewesen, ob er wirklich dort treffen würde, wohin er gezielt hatte. Er hatte auf keinen Fall das Mädchen treffen dürfen. Es hätte noch leben können. Das war seine einzige Hoffnung, sein Halt gewesen. Aber innerlich hatte er gewusst, dass das Mädchen tot war.
Doch diesen Gedanken hatte er verscheucht. Er hatte diese Hoffnung gebraucht.
Artur hatte angefangen zu lachen, laut, grell, verrückt und dann hatte er sich umgedreht. Das war die Chance für Horst gewesen, die er genutzt hatte. Er hatte Artur in den Hinterkopf geschossen, genau dort, wo er es beabsichtigt hatte. Es war alles so verdammt schnell gegangen. Artur war auf die Knie gefallen und sofort nach vorn gekippt. Horst war aber bei ihm gewesen, ehe das Mädchen von ihm erdrückt werden konnte. Horst hatte es sich geschnappt und es geschüttelt. Er hatte geschrien und geweint. Dann hatte er ihren Mund geöffnet und sie beatmet, doch es hatte nichts gebracht. Sie war tot. Horst hatte es nicht glauben wollen und nicht verstehen können. Wollte einfach nur sterben.
Das war vor zwei Monaten gewesen. Er spürte noch heute Emilias Hände auf seiner Haut. Sie hatte übernommen, denn er war dazu nicht mehr fähig gewesen. Er erinnerte sich an die erste Nacht mit ihr, an ihre Berührungen und ihre Liebe. Sie war ein Engel. Das hatte er vom ersten Moment an gewusst. Aber er würde sie vernichten, ihr nicht guttun, auch das hatte er gewusst. Dennoch verbrachten sie nun jede freie Minute miteinander. Emilia tat alles, um Horst glücklich zu machen. Und es gelang ihr, so sah es zumindest auf den ersten Blick aus.